Unser Sohn Max ist drei Jahre alt und will seit einiger Zeit morgens im Pyjama in den Kindergarten gehen. Da wir ihm diesen Wunsch nicht erfüllen, schreit er wie am Spieß. Diese morgendliche Diskussion stresst uns sehr, wir – beide berufstätig – kommen schon gestresst zur Arbeit. Wie kann eine Lösung aussehen, mit der wir alle, Eltern und Kinder, glücklich sind?
Stressmomente, die jede Familie durchlebt
Während des Familienalltags gibt es besonders stressige Momente. Die Aufstehzeit und das Zurechtmachen für Kindergarten oder Schule sind einige davon. Die Zeit ist knapp, alles muss funktionieren. Eltern müssen an allen Stellen gleichzeitig sein: Frühstück vorbereiten, die Kinder anziehen, Absprachen für den Tag treffen, vielleicht noch die Sachen zusammensuchen usw. Kleine Kinder sind mit diesem Ablauf überfordert. Für sie gibt es nur das Hier und Jetzt. Sie können sich nur schwer in die Zukunft projizieren und lassen sich ganz von dem Lustprinzip führen.
Konflikte vertiefen die Beziehung
Max steckt mit seinen drei Jahren gerade in dem, was häufig Trotzphase genannt wird. Eine zweite, weitaus stärkere wird er in der Pubertät durchlaufen. Ich mag das Wort Trotzphase nicht und spreche lieber von einer Autonomiephase. Denn nicht der Widerstand und Trotz sind hier das Wesentliche, sondern der Ablösungsprozess und das Selbstständigwerden unseres Kindes.
In dieser ersten Phase entwickelt Max seinen eigenen Willen. Dadurch lernt er, Entscheidungen zu treffen, diese zu erproben und mit den daraus folgenden Konsequenzen umzugehen. Er lernt, dass Konflikte nicht bedrohlich sind, sondern einfach zum Leben dazu gehören, und dass es Lösungen gibt. Er lernt, dass wir weiterhin für ihn da sind und ihn lieben, obwohl wir uns streiten. Die bewältigten Konflikte vertiefen unsere Beziehung, wir können in Zukunft darauf zurückblicken.
Und ganz wichtig: Er erfährt, dass die innere und äußere Spannung, die Konflikte erzeugt, auszuhalten ist und nicht durch andere Tätigkeiten (z.B. Flaschenuckeln) abreagiert bzw. kompensiert werden muss.
Bedürfnis hinter der Weigerung
Wenn er darauf besteht, morgens seinen Pyjama nicht auszuziehen, dann hat das für ihn einen guten Grund. Können Sie sich vorstellen, welchen?
Vielleicht ist der Pyjama für ihn mit der Wärme und Gemütlichkeit seines Betts verknüpft, und er möchte ein bisschen von diesem Gefühl mit in den Kindergarten nehmen. In diesem Fall könnte ein Ersatz wie ein Kuscheltier oder ein anderer Gegenstand, der diese emotionale Besetzung hat, dasselbe bewirken. Finden Sie heraus, welches Bedürfnis hinter der Weigerung steckt, sich umzuziehen.
Das Sich-nicht-umziehen-wollen von Max ist nur eine Strategie, um ein Bedürfnis befriedigen zu können. Experimentieren Sie mit anderen Strategien. Machen Sie Ihrem Kind Angebote.
Vorbeugen spart Zeit und Energie
Damit die Zeit am Morgen für die Familien weniger stressig verläuft, können Sie bestimmte Schritte bereits am Abend vorbereiten: Decken Sie am Abend schon den Frühstückstisch, sodass am Morgen nur noch die frischen Lebensmittel auf den Tisch kommen müssen. Suchen Sie mit Ihrem Kind am Abend seine Kleidung für den nächsten Tag heraus. Legen Sie alles so, dass es sich zum Beispiel in der Küche anziehen kann, während Sie dort Brote schmieren und sich mit ihm unterhalten. Erklären Sie ihm die Schritte, die Sie machen oder die es macht: „Mami macht jetzt Kaffee, und was machst du jetzt? Ziehst du die Strümpfe an?“ So kommt es in ein begleitetes Handeln und ist sich Ihrer Aufmerksamkeit sicher. Denn Ihr Kind ist gerade dabei, die Welt für sich zu erobern und braucht dabei Ihre Unterstützung.
Klingt nach zu viel Zeitaufwand? Probieren Sie es aus! Sie werden sehen, dass es viel weniger Zeit in Anspruch nimmt als das Ankämpfen gegen einen Autonomiewunsch.
Lernen Kinder aus den Folgen?
Manchmal werde ich gefragt, ob es denn nicht sinnvoll ist, die Kinder aus den negativen Folgen lernen zu lassen. Ich denke, dass wir als Menschen aus den Folgen unseres Handelns lernen können, ob wir dies dann auch machen, steht auf einem anderen Blatt. Als Erwachsene haben wir außerdem die Möglichkeit, die Folgen unseres Handelns abzuwägen. Kinder sind oft dazu nicht in der Lage und benötigen unsere Erfahrung, um keinen körperlichen oder seelischen Schaden zu nehmen. Es gibt also keine pauschale Antwort auf diese Frage.
In Max’ Fall haben wir überlegt, was passieren könnte, wenn er im Pyjama in den Kindergarten geht. Wie ist seine Position in der Gruppe? Würde er als Trendsetter erlebt, oder würde er in eine Außenseiterrolle kommen? Und wie würden wir bei den Erziehern ankommen? Erlebt man uns als die über allem stehende Erzieherpersönlichkeit oder als Eltern, die nichts auf die Reihe bekommen, und steckt man uns die Nummer der nächsten Erziehungsberatungsstelle zu? Diese Fragen sollten Sie sich stellen. Denn es gibt Kinder, die können sich diese Erfahrung leisten und andere nicht.
Bieten Sie Ihrem Kind andere Situationen an, in denen es selbstständig entscheiden kann, und nehmen Sie sich Zeit für gemeinsame Unternehmungen, in denen es das Tempo vorgibt.
Denn: Jetzt ist wichtig für morgen.
Tipps in Kürze
- Schaffen Sie Rituale
- Bereiten Sie abends alles für den Morgen vor
- Identifizieren Sie das Bedürfnis hinter dem Verhalten
- Machen Sie Ihrem Kind andere Strategieangebote